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Vortragsveranstaltung „Krieg gegen das eigene Volk“

„Euthanasie“ und Zwangssterilisation in der NS-Zeit in Voßwinkel

Mord und Zwangssterilisationen hat es in der Zeit des Nationalsozialismus nicht nur in größeren Städten, sondern auch im ländlichen Sauerland gegeben. So auch in Voßwinkel. Diese Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, die im Rahmen der „Euthanasie“ ermordet wurden oder denen durch Zwangssterilisation großes Leid zugefügt wurde, werden meistens vergessen. In vielen Familien war das auch lange Zeit ein Tabu-Thema, in manchen Familien wirkt dieses Trauma bis heute nach. 

Traditionell wird am Volkstrauertag zwar der Opfer von Krieg und Gewalt gedacht. Doch geht es dabei es in erster Linie um gefallene und vermisste Soldaten und um die Opfer der beiden Weltkriege.

Der „Arbeitskreis Dorfgeschichte Voßwinkel“ arbeitet seit dem letzten Jahr an einem Forschungsprojekt, bei dem es auch um diese vergessenen Opfer geht. Durch die Übergabe der „Euthanasieakte“ durch Angehörige einer betroffenen Familie fanden sich Ansatzpunkte für umfangreiche Recherchen. Erstaunt waren die Mitarbeiter des AK, wie viele Familien im Ort von den wahnsinnigen Vorstellungen der Nazis zu „Erbgesundheit und Rassenhygiene“ betroffen waren.

Obwohl Recherchen in Archiven coronabedingt nur eingeschränkt möglich waren, geben die inzwischen ausgewerteten Unterlagen Aufschluss über das menschenverachtende Vorgehen der Nationalsozialisten. Durch die Dokumente kann belegt werden, dass zwei Erwachsene und ein Kind aus dem Dorf ermordet wurden. Daneben sind mehrere Zwangssterilisationen belegt.

Die Umsetzung der Erbgesundheitslehre und Rassenhygiene spielte in der NS-Zeit eine zentrale Rolle. Das Rassenpolitische Amt sorgte für die Propaganda, Gesundheitsämter erstellten Sippentafeln und Erbgesundheitsgerichte entschieden, welche Menschen „brauchbar“ waren. Über 70 Akten des Erbgesundheitsgerichtes mit Bezug zu Voßwinkel gibt es im NRW-Archiv in Münster.

In einer Abteilung der Kanzlei des Führers wurde die Ermordung kranker oder „lebensunwerter“ Menschen geplant und zunächst in 6 Tötungsanstalten durchgeführt. In der ersten Welle, bekannt unter dem Tarnnamen „Aktion T4“, wurden von 1940 bis 1941 etwa 70.000 Menschen getötet. Bei den 30.000 Akten, die nicht vernichtet wurden, befinden sich auch die der beiden Voßwinkeler Opfer. In den umfangreichen Unterlagen ist dokumentiert, wie die Kranken in den Tod geschickt wurden und wie durch das Ausstellen falscher Urkunden Angehörige getäuscht wurden.    

Das bisherige Ergebnis der Recherchen, mit der die Organisation der Morde und der Ablauf der Sterilisationsverfahren aufgezeigt werden kann, möchte der AK vorstellen. Michael Filthaut, dessen Familie von einem „Euthanasiefall“ betroffen war, hat sich auch aus historischem Interesse mit dem Thema intensiv befasst. Er kann anhand der Dokumente aus verschiedenen Archiven aufzeigen, wie die große Politik im ländlichen Bereich mit aller Härte umgesetzt wurde und wie stark es einige Familien getroffen hat. „Schwerpunkt unseres Projektes ist, die Auswirkungen der NS-Diktatur auf ein kleines Dorf insgesamt aufzuzeigen“, betont Filthaut. „Bei diesem Vortrag geht es erst mal nur um die Auswirkungen der Rassengesetze. Mit den weiteren Themen, wie z. B. Opfer der NS-Justiz, werden wir uns an anderer Stelle beschäftigen.“

Für die Veranstaltung am 14. November (Volkstrauertag) hat der Arnsberger Bürgermeister Ralf Paul Bittner die Schirmherrschaft übernommen. Sie beginnt um 16.30 Uhr im Pfarrheim in Voßwinkel (Voßwinkeler Str. 18).

Es gilt die 3-G-Regelung. Corona-bedingt wird um Anmeldung gebeten unter Telefon 02932 / 7121 oder Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Zusatzinfo zum Thema:

  • In der Zeit von 1934 bis 1945 wurden 400.000 Zwangssterilisationen nach dem „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ durchgeführt. Davon sind 5.000 Menschen infolge der Eingriffe verstorben. 
  • Vom Erbgesundheitsgericht Arnsberg (Bezirk des Landgerichtes) wurden über 2.100 Menschen zur Unfruchtbarmachung verurteilt. 
  • 768 Patienten der Provinzialheilanstalt Warstein wurden zwangssterilisiert (381 Frauen und 387 Männer). 
  • 1940 und 1941 wurden durch die zentral gesteuerte „Euthanasie“ (Aktion T4) zur Vernichtung „unwerten“ Lebens 70.000 Menschen in 6 Tötungsanstalten ermordet. Davon sind zwei Fälle aus Voßwinkel dokumentiert. 
  • Allein aus der Provinzialheilanstalt Warstein wurden in 15 Transporten 1575 Menschen „verlegt“. 
  • Die dezentrale „Euthanasie“ (Aktion Brandt) kostete über 100.000 Menschen das Leben, darunter etwa 10.000 Kinder. Von einem Kind aus Voßwinkel liegt die Akte vor. 

Arbeitskreis Dorfgeschichte:

  • Der Arbeitskreis Dorfgeschichte Voßwinkel wurde 1993 gegründet. Die Vereinsmitglieder haben sich zur Aufgabe gemacht, die Dorfgeschichte zu erforschen und zu dokumentieren, alte Unterlagen, Dokumente usw. zu sammeln und zu erhalten. 
  • In der heimatgeschichtlichen Zeitschrift „Voßwinkeler Rückblicke“ veröffentlicht der AK Themen aus der Dorfgeschichte und Ergebnisse seiner Forschungsarbeit. Seit 2008 erscheinen die Rückblicke zweimal im Jahr. Das jetzt vorliegende Heft ist immerhin schon die 31. Ausgabe. Abo bzw. Jahresbeitrag beträgt 6,00 Euro.

Bericht AK Dorfgeschichte, 28.10.2021